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Unsere Idee – die Beweggründe zur Vereinsgründung im Sommer 2019

 

Menschen mit einem niedrigen Status in der Gesellschaft haben nachweislich geringere Chancen, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben oder etwas zu erreichen. Ob Diskriminierung wegen Einkommen, Bildung, Herkunft, Geschlecht, Alter oder körperlicher und geistiger Handicaps - in Deutschland besteht eine spürbare soziale Ungleichheit.

 

Unser Verein ist nicht grundlos entstanden. Wir im Vorstand haben eine gemeinsame Freundin, über deren Geschichte wir heute berichten: Laura ist 23 Jahre alt und Mutter zweier Kinder. Sie arbeitet als Fachkraft für Lagerlogistik in Vollzeit unter täglicher körperlicher Anstrengung und verdient gerade einmal soviel, um zu Leben - ohne davon reich zu werden oder sich großartig etwas leisten zu können. Laura ist eine "Durchschnittsbürgerin" ohne luxuriöse Ansprüche - sie hat ihren Schulabschluss absolviert, ihre Ausbildung abgeschlossen und ist seitdem sozialversicherungspflichtig beschäftigt, zahlt ihre Steuern und in das System der Solidargemeinschaft ein. Laura leidet seit Jahren an einem schweren Lipödem im Stadium Grad 3. Bei einem Lipödem sind die Kapillargefäße durchlässig und es tritt vermehrt Wasser in das umliegende Fettgewebe. Dieses Wasser sammelt sich als Ödem zwischen den Fettzellen, die sich vergrößern und verformen. Resultat: Ödeme und die Fettzellen in der Unterhaut werden immer größer.

 

Durch die Hauptdiagnose Lipödem sind bei Laura zahlreiche Neben- und Folgekrankheiten entstanden: so leidet Laura beispielsweise an schweren Schmerzen in Armen und Beinen und an teils schwerwiegenden Depressionen. Trotzdem überwindet sich Laura tagtäglich und versucht, für ihre Kinder stark zu sein. Alle Ärzte und Experten – mehr als eine Hand voll – sind sich bei ihr sicher: nur eine OP kann unserer Laura noch helfen, was ihr auch mehrfach und ausführlich attestiert wird. Doch die zuständige Krankenkasse lehnt die Behandlung und Kostenübernahme ab.

 

Laura benötigt zum Überstreifen ihrer Kompressionsstrümpfe sehr lange. Das Lipödem, verbunden mit starken Schmerzen und Juckreiz, besteht symmetrisch an Armen und Beinen. Die Kompressionsstrümpfe sollen Wasseransammlungen im Gewebe verhindern und lindern. Gerade bei sommerlichen Temperaturen werden alle Bewegungen für Laura zu einer Tortour. Der Sommer 2020 war für Laura ganz besonders hart. Auch der von der Krankenkasse beauftragte Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) kommt zu dem Ergebnis, dass der medizinische Sachverhalt unstreitig sei. Durch die Erkrankung sei Laura in ihrem täglichen Leben sowohl körperlich, als auch schwerwiegend psychisch, beeinträchtigt.

 

Alle behandelnden Ärzte stimmen ihr zu, dass eine Operation im Rahmen einer Liposuktionsbehandlung unumgänglich ist. Doch eine solche Behandlung ist in Deutschland nicht vorgesehen, da sie wissenschaftlich nicht belegt ist. Eine erfolgreiche Behandlung mit denen bislang zugelassenen Methoden ist nahezu unmöglich. Im vergangenen Jahr entschied das Bundessozialgericht, dass eine Liposuktion bei Lipödem keine Leistung der gesetzlichen Kranken­versicherung (GKV) ist. Die dauerhafte Wirksamkeit der Methode sei – so das höchste deutsche Sozialgericht – nicht ausreichend gesichert. Im Ergebnis heißt dies: nur, weil die – laut Experten alternativlose – Behandlung im Falle von Laura möglicherweise einen Nutzen haben könnte (und nicht haben muss), ist eine Kostenübernahme der gesetzlichen Krankenversicherung nicht vorgesehen. Diese gerichtliche Entscheidung ist zwar zu respektieren, aber sehr zu bedauern. Als Bürger kann man die Entscheidung nicht nachvollziehen und als Betroffener schon gar nicht.

 

Krankenkassen übernehmen nunmehr nach dem Willen von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn seit Anfang 2020 die Kosten für eine Liposuktion zur Behandlung des Lipödems übernehmen. „Bis zu drei Millionen Frauen mit krankhaften Fettverteilungsstörungen leiden täglich darunter, dass die Krankenkassen ihre Therapie nach einem Gerichtsurteil nicht bezahlen“, sagte Spahn der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) im Januar 2019. Spahn wollte, so die FAZ, den Patientinnen schnell und unbürokratisch helfen. Die Liposuktion bei Lipödem wird deshalb seit 01.01.2020 für Patientinnen im Stadium drei zunächst befristet bis 2024 zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet - dies aber mit hohen Hürden:  die Krankenkassen haben noch immer einen großen Beurteilungsspielraum, ob sie die Behandlung genehmigen oder nicht. Langwierige Prozesse, überlastete Sozialgerichte und tausende kostentreibende Sachverständigengutachten sind bei drei Millionen erkrankten Frauen vorprogrammiert.

 

Laura erhob gegen den Ablehnungsbescheid der Krankenkasse, erlassen Anfang 2018, Klage vor dem Sozialgericht. Im Sommer 2019, anderthalb Jahre später, entschied das Sozialgericht, dass die Leistung abgelehnt wird – weil diese noch nicht in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen wurde. Der Vertreter der Krankenkasse wollte im Prozess, der im Sommer 2019 stattfand, trotz vorliegender und teils schwerwiegender medizinischer Indikation keinerlei Kompromisse oder Zugeständnisse machen. Das Sozialgericht lehnte die Klage ab. Das Urteil ist in der Zwischenzeit rechtskräftig, das Landessozialgericht bestätigte die Entscheidung. Mut, Kraft und Geld, gegen beide Entscheidungen in die Revision zu gehen, hatte unsere Laura nicht mehr.

 

Das ganze Leid von Laura und die Verfahrensweise hat uns im negativen Sinne sehr beeindruckt und traurig gemacht. Dennoch blicken wir auch in die Realität: wer in Deutschland nicht genügend Geld oder einen guten sozialen Status hat, kann möglicherweise willkürlichen oder langwierigen Entscheidungen unterworfen sein. Keine Chance zu haben, so geht es leider vielen Menschen in Deutschland. Dabei sollte das in einem Land, dem es wirtschaftlich sehr gut geht, kaum möglich sein. Soziale Benachteiligung ist in unserem Land ein großes Thema in vielen Bereichen, über die leider viel zu selten gesprochen werden. Wer arm ist, bleibt in der Regel arm und hat beispielsweise keine Chancen in Bildung und Gesundheit. Nicht umsonst hat das Bundesverfassungsgericht kürzlich entschieden, das Sanktionen gegenüber Hartz 4-Empfängern teilweise verfassungswidrig sind – der Prozess eines einzelnen Bürgers, der für ganz Deutschland einen Präzedenzfall erstritten hat, dauerte viele Jahre, Zeit und Kraft, die Menschen wie Laura nicht (mehr) haben.

 

Aus diesem Grund haben wir entschieden, uns demokratisch für arme und sozial oder gesundheitlich benachteiligte Menschen einzusetzen, und zwar im offiziellen Rahmen eines gemeinnützigen Vereins. Dies mit zahlreichen Angeboten und Projekten, sozialen Dienstleistungen, Hilfsangeboten für Betroffene und Soforthilfe im Notfall für viele Menschen in unserer Region. Selbstverständlich akzeptieren wir rechtsstaatliche Entscheidungen und Gesetze, sehen es aber auch als notwendig an, uns kritisch äußern zu können und öffentliche Verbesserungsvorschläge für Betroffene zu unterbreiten.

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